Warum, wer, wie verzichten?

Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen: Viele kluge Menschen beschäftigen sich tagtäglich mit Verzicht. Doch was bringt es wem, wenn wer worauf verzichtet? Eine Spurensuche.

 

Das Fragen und der Fortschritt

Im Alter von ungefähr vier Jahren haben Kinder schon einen umfangreichen Wortschatz. Sie wissen, wie Menschen, Gegenstände oder Tätigkeiten bezeichnet werden und können eigenständig Gespräche führen. Was Kindern in diesem Alter jedoch viel spannender finden als sich zu unterhalten, ist das Fragenstellen. Nach jeder Feststellung, jeder Erklärung und jeder Aufforderung von Erwachsenen folgen unausweichlich die Lieblingswörter der Generation „Loch in den Bauch“: Warum? Wer? Wie? Wo? Wann?

Was bezwecken Kinder mit der ganzen Fragerei? Einerseits wollen sie möglichst viel über die Welt lernen, die sie umgibt. Schließlich müssen sie ja noch ziemlich lange darin klar kommen. Zum anderen hat das dauernde Gefrage auch mit Trotz zu tun: Kinder stellen die Kompetenzen der Erwachsenen und damit allgemein die bestehenden Verhältnisse infrage. Man könnte auch sagen: Fragen ist sowohl ein Akt der Neugier als auch des Widerstands. Sein Ziel ist es, Hintergründe zu erfahren und Dinge nicht zu akzeptieren, nur weil sie jemand behauptet. Fragen heißt, sich nach Weiterentwicklung zu sehnen und den Stillstand abzulehnen.

Wenn wir uns ausführlicher mit einem Thema beschäftigen wollen, müssen zu Beginn immer die zentralen Fragen stehen: Warum sollten wir überhaupt verzichten? Wer soll verzichten? Und worauf? Was bringt das? Wem bringt es etwas? Und wo führt uns das alles hin?

 

„Standing on the shoulders of giants“

Mit diesen Fragen haben sich schon viele kluge Köpfe befasst. Ich will hier einige Überlegungen anführen, die Menschen mit verschiedenen Hintergründen und aus unterschiedlichen Disziplinen angestellt haben. Den Überlegungen ist gemein, dass sie das Ziel verfolgen, einen oder mehrere Schritte in Richtung eines besseren Lebens für alle zu machen.

Die Überlegungen sind meistens in Büchern niedergeschrieben worden, oft reden die Autor*innen auch in Podcasts und Videoaufzeichnungen über ihre Gedanken. Ich werde versuchen, alles Interessante hier zu verlinken. All das ist eine Einladung an euch, liebe Leser*innen, sich mit der aktuellen Verfasstheit der Welt und der eigenen Position in ihr zu beschäftigen. Dazu stellen wir uns auf die Schultern von Ries*innen. Um mehr über die Hintergründe zu erfahren. Und um selbst Einfluss auf unser Schicksal nehmen zu können.

Die Einträge hier werden laufend ergänzt. Wenn ihr selbst ein Buch gelesen oder einen Film gesehen habt, der sich mit Verzicht beschäftigt, meldet euch bei uns. Wir nehmen eure Ideen gerne in unseren Blog auf.


Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, Suhrkamp 2020, 130 Seiten

Hartmut Rosa ist einer der führenden zeitgenössischen Soziolog*innen im deutschsprachigen Raum. Er arbeitet als Uni-Professor in Jena, stammt aber ursprünglich aus dem Schwarzwald. Seine Bücher sind im Tonfall und den verwendeten Fachbegriffen sehr wissenschaftlich gehalten, „Unverfügbarkeit“ ist aber in gewissem Sinn eine Ausnahme und auch für Menschen gut verständlich, die sich sonst eher nicht mit akademischen Texten befassen.

Was schreibt Hartmut Rosa zum Thema Verzicht?

Für den Soziologen hat unser ständiges Streben nach Mehr (er nennt das unser “aggressives Weltverhältnis”) mittlerweile in vielen Bereichen zu einer Überlastung, einem Zuviel geführt. Durch die ständige Verfügbarkeit von nahezu allem entzieht sich uns die Welt zusehends. Wir können sie nicht mehr greifbar machen, nicht mehr mit ihr in Beziehung treten. Unser Resonanzverhältnis – so bezeichnet er bedeutungsvolle Beziehungen des Menschen zur Welt – ist verstummt.

Der Weg zu einem neuen Resonanzverhältnis führt für Rosa über den Verzicht. In seinen Worten braucht es dazu eine “Halbverfügbarkeit” – eine Form der Unverfügbarkeit, die aber ein Aufeinanderbezogensein zulässt (er macht einen theologischen Vergleich: Gott ist für den Menschen nicht verfügbar, aber durch Gebet erreichbar).

Wo kann ich mehr erfahren?

Einen gut verständlichen und eher knapp gehaltenen Einblick in Rosas Denken gibt das Interview, das Diana Lindner im Rahmen der Thüringer Literaturtage 2020 geführt hat.

 

Noch mehr über Erschöpfung und Verzicht erfährt man in der exzellent aufbereiteten Buchbesprechung von „Unverfügbarkeit“ im Podcast In trockenen Büchern von Alexandra Tobor.


Maja Göpel / Eva von Redecker: Schöpfen und Erschöpfen, Matthes & Seitz 2022, 78 Seiten

Zwei der renommiertesten zeitgenössischen Denkerinnen treten in diesem Buch in Dialog. Maja Göpel ist Transformationsforscherin und hat sich vor allem als Rednerin einen Namen gemacht. Als Mitglied des Club of Rome, eines der wichtigsten Expert*innengremien für nachhaltiges Denken, beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen und wurde durch ihr Buch „Unsere Welt neu entdecken“ im Jahr 2020 einem breiteren Publikum bekannt. Eva von Redecker ist Philosophin und forscht aus kritisch-feministischer Perspektive über sozial-ökologischen Wandel. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie wir angesichts der einschneidenden Veränderungen in Gesellschaft und Umwelt als Menschen trotzdem handlungsfähig bleiben können. Auch sie hat 2020 durch ihr Buch „Revolution für das Leben“ größere Bekanntheit erlangt. Die Stärke des hier vorgestellten Werks „Schöpfen und Erschöpfen“ liegt darin, dass sich darin auf wenigen Seiten die zentralen Gedanken der Autorinnen zusammengefasst wiederfinden.

Was schreiben Maja Göpel und Eva von Redecker zum Thema Verzicht?

Bereits in „Revolution für das Leben“ schreibt Eva von Redecker, dass sich die Welt in einem Zustand ökologischer und sozialer Erschöpfung befinde. Das vor allem aufgrund der in der Wirtschaft vorherrschenden Sichtweise, dass nur Wachstum dauerhaft zu mehr Wohlstand führen kann. Beide Autorinnen sind sich einig, dass diese Sichtweise heute als widerlegt angesehen werden kann. Statt einer Orientierung an Wachstum und Profit schlagen sie deshalb vor, sich auf einen sorgsamen Umgang mit Mensch und Umwelt zu fokussieren. Dazu gehört das gemeinsame Nutzen von Gütern genauso, wie der sparsame Umgang mit wertvollen Ressourcen oder die Solidarität mit jenen, die in anderen Teilen der Welt Kriegen und Armut ausgesetzt sind.

Obwohl beide Autorinnen wohl nicht den Begriff Verzicht in den Mund nehmen würden, schwingt dieser doch immer wieder implizit mit. Sie suchen die Lösung der bestehenden Probleme weniger auf individueller als auf systemischer Ebene, der Staat ist für die Reduktion des Schlechten und die Vermehrung des Guten zuständig. Umverteilung ist hier für beide, trotz unterschiedlicher Zugänge, ein relevantes Stichwort.

Wo kann ich mehr erfahren?

Eine Version des Buches ist auch als Video und Podcast erschienen, diesen gibt es hier zu sehen oder hören:


Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst, S. Fischer 2021, 288 Seiten

Harald Welzer ist habilitierter Sozialpsychologe und Soziologe. Heute ist er vor allem publizistisch tätig und Dauergast in den diversesten Talkshows, Podcasts und Feuilletons. Der Gründer der Denkfabrik Futurzwei, die sich der Bekanntmachung alternativer Lebens- und Wirtschaftsformen verschrieben hat, ist einer der öffentlichkeitswirksamsten wissenschaftlichen Kommentator*innen Deutschlands und fällt dabei auch immer wieder mit streitbaren Positionen auf – zuletzt sprach er sich etwa vehement gegen Waffenlieferungen in die Ukraine aus.

Was schreibt Harald Welzer zum Thema Verzicht?

Harald Welzer nähert sich dem Thema Verzicht in seinem Buch über den Begriff des Aufhörens. Eine Erfahrung existenzieller Bedrohung – Welzer wäre im April 2020 beinahe einem Herzinfarkt erlegen – führt ihn zu der Überlegung, dass die zeitgenössische westliche Kultur mit ihrem Fokus auf Leistung und Wachstum kein Konzept des Aufhörens entwickelt hat. Das liege vor allem daran, dass wir sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der individuellen Ebene keinen Begriff von Endlichkeit haben. Wir verdrängen, dass natürliche Ressourcen irgendwann zu Ende gehen genauso, wie wir die allgegenwärtige Möglichkeit des eigenen Todes ignorieren. Das führt dazu, dass wir mit „Endlichkeitsproblemen“ wie dem Klimawandel oder dem Artensterben nicht adäquat umgehen können und uns lieber nach technischen Lösungen umsehen, als es einfach einmal „gut sein zu lassen“.

Wahre Lösungen für diese Probleme sieht Welzer nicht in der Bewusstseinsbildung – wir sind uns der Notwendigkeit für Veränderung sehr wohl bewusst. Wir bräuchten auch keine neuen Zielsetzungen, denn: „Das Setzen des Ziels blockiert den Weg dahin.“ Das sähe man etwa in der Klimadebatte, wo die Ziele schon als Erreichtes gelten und quasi als Entschuldigung für die Untätigkeit herhalten müssen. Was wir seiner Meinung nach jedoch ändern müssen, ist unsere Praxis – und zwar in ihrer Dringlichkeit und in ihrer Form. Aufhören müsse in der Gegenwart stattfinden (und nicht in der Zukunft, wie man es bei Zielen tun würde). Und es müsse konkret und lustvoll werden, sich nicht in Alarmismus ergehen, sondern etwas emotional Erstrebenswertes und sozial Bindendes darstellen. Sonst habe es keine Chance gegen die Glücksversprechungen des stetigen und grenzenlosen Konsums.

Wo kann ich mehr erfahren?

Harald Welzer im Gespräch mit Barbara Bleisch in der Sternstunde Philosophie auf SRF Kultur:

 

Im Gespräch mit Pepe Egger im derFreitag-Podcast:


Isabella Uhl-Hädicke: Warum machen wir es nicht einfach?, Molden 2022, 176 Seiten

Viele kennen Isabella Uhl-Hädicke aus dem Fernsehen. Die an der Universität Salzburg tätige Umweltpsychologin tritt immer wieder in populären TV-Formaten (etwa in der Sendung Studio 2 im ORF) auf, um dort die Erkenntnisse aus ihrer eigenen Forschung einer breiten Bevölkerung bekannt zu machen. Diese Forschung dreht sich vor allem um die Förderung von klimafreundlichem Verhalten – Uhl-Hädicke will verstehen, warum Menschen (nicht) im Sinne des Wohles von Umwelt und Klima agieren und wodurch ein solches Handeln gefördert werden kann. Neben der Forschung und Wissenschaftskommunikation ist Isabella Uhl-Hädicke außerdem noch Vorstandsmitglied des Klimaforschungsnetzwerks CCCA, Teil des Kernteams der Nachhaltigkeitsinitiative der Paris Lodron Universität Salzburg PLUS Green Campus und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Klimarats des Bundesministeriums für Klimaschutz.

Was schreibt Isabella Uhl-Hädicke zum Thema Verzicht?

Obwohl die Autorin in ihrem Buch Warum machen wir es nicht einfach? den Begriff des Verzichts weitgehend umschifft, ist klar, dass das „klimafreundliche Verhalten“, das sie anspricht, ganz oft mit Verzicht zu tun hat. So finden sich schon im Pressetext zum Buch diverse Beispiele, die Umweltfreundlichkeit ganz klar mit Reduktion verknüpfen: Weniger Fleisch essen, weniger Fernreisen, mehr mit Öffis (also weniger mit dem Auto) fahren.

Als Umweltpsychologin sucht Uhl-Hädicke also vor allem Erklärungen dafür, warum wir uns mit dem Verzichten so schwer tun, obwohl wir eigentlich wissen, dass es notwendig ist. Dieser so genannte „Mind-Behaviour-Gap“, also die Lücke zwischen Wissen und Handeln, wird umso kleiner (und klimafreundliches Verhalten also umso wahrscheinlicher), wenn

  • wir von der Wirksamkeit ihrer Handlungen überzeugt sind,
  • uns die Auswirkungen des Klimawandels relevant und lebensnah erscheinen,
  • uns die Umwelt und unsere Mitmenschen wichtig sind,
  • sich Menschen in unserem Umfeld auch klimafreundlich Verhalten.

Mit Drohszenarien und finanziellen Anreizen ist klimafreundliches Verhalten dagegen eher nicht zu festigen. Ganz im Gegenteil lösen Horrormeldungen über nicht erreichte Klimaziele und Extremwetterereignisse eher ein Gefühl von Hilflosigkeit aus, das einem entsprechenden Verhalten entgegensteht.

Wie kann es also konkret zu Verhaltensänderungen kommen? Auch dazu finden sich im Buch Hinweise, etwa das Erzählen von Erfolgsgeschichten, wie wir es mit den „Geschichten vom Verzichten“ auch im Projekt Weniger ist mehr versuchen. Und es gibt noch weitere Tipps, aber alles wollen wir hier auch noch nicht verraten… 🙂

Wo kann ich mehr erfahren?

Isabella Uhl-Hädicke hat Ende Februar vor den Mitgliedern des Klimarats ihre wichtigsten Erkenntnisse präsentiert:

Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem Meteorologen Marcus Wadsak, hat sie auch im Podcast „fair&female“ der Kleinen Zeitung über ihre Ansätze zum Thema gesprochen:


Jason Hickel: Weniger ist mehr. Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind, oekom 2022, 352 Seiten

Jason Hickel ist Wirtschaftsanthropologe und arbeitet derzeit als Professor am Institut für Umweltwissenschaften und -technologie an der Autonomen Universität Barcelona. Seine Forschungsschwerpunkte sind globale Ungleichheit, politische Ökonomie, Post-Entwicklung und ökologische Ökonomie, die auch Gegenstand seiner beiden jüngsten Bücher sind (neben dem hier beschriebenen erschien 2018 auch Die Tyrannei des Wachstums). Hickels Schreibweise ist wissenschaftlich, aber klar und im Buch deutlich auf die Vermittlung an ein breiteres interessiertes Publikum ausgelegt.

Was schreibt Jason Hickel zum Thema Verzicht?

In seinem Buch widmet sich Jason Hickel ganz zentral dem “Wachstumismus” (im Original “growthism”) als der ideologischen Grundlage gegenwärtigen Wirtschaftens. Er zeigt auf, dass der Fokus auf ständiges Wachstum und Profite für Menschen und Natur fatal ist und möchte seinen Leser*innen eine alternative Denkweise näherbringen. Diese Alternative bezieht sich auf Reduktion und Verzicht, in der Verantwortung dafür sieht er aber nicht die einzelnen Menschen, sondern die politischen Entscheidungsträger*innen.

Zusammengefasst lautet seine Analyse folgendermaßen: Die vorherrschende Meinung in der Wirtschaft ist derzeit, dass alle Wirtschaftssektoren ständig wachsen müssen, unabhängig davon, ob wir sie tatsächlich brauchen oder nicht. Dies ist jedoch eine sozial und ökologisch irrationale Art, eine Wirtschaft zu führen. Sie tötet den Planeten und schafft ein hohes Maß an Ungleichheit innerhalb und zwischen Nationen und Weltregionen. Unter den Auswirkungen des immensen Ressourcenverbrauchs seit Anbruch der Industrialisierung und den damit einhergehenden Klimaveränderungen leiden vor allem die Länder des Globalen Südens (besonders in Form von Extremwetterereignissen wie Dürren und Flutkatastrophen). Die Länder des Globalen Nordens – besonders die USA, China, Russland, Deutschland und Großbritannien – sind zum überwiegenden Teil für diese Katastrophen verantwortlich. Es braucht also eine Veränderung in der Bewertung des “Wachstumismus” vor allem in den reichen Industriestaaten.

Das Schlagwort dazu heißt “Degrowth”: Degrowth ist eine geplante Verringerung des Ressourcen- und Energieverbrauchs in Industrieländern, um die Wirtschaft auf sichere, gerechte und ausgewogene Weise wieder in Einklang mit den Menschen und der Natur zu bringen. Die Industrieländer brauchen kein weiteres Wachstum, um ein hohes Maß an Wohlstand für alle zu erreichen. Stattdessen sollten wir darüber nachdenken, welche Teile der Wirtschaft wir tatsächlich ausbauen wollen (öffentliches Gesundheitswesen, erneuerbare Energien, öffentliche Verkehrsmittel, Bildung, erschwinglicher Wohnraum) und welche Teile eindeutig destruktiv sind und abgebaut werden müssen (Rüstungsindustrie, Privatjets, Fast Fashion, Industriefleisch, Werbung).

Warum machen wir das nicht schon längst? Wegen des Schreckgespenstes der Arbeitslosigkeit. Wenn wir die Wirtschaft zurückfahren, wird es weniger Arbeitsplätze geben. Wir stellen uns nur hinter die Wachstumsagenda, weil wir alle Arbeitsplätze brauchen, um zu überleben.

Was ist die Antwort?

  1. Verkürzung der Wochenarbeitszeit und gleichmäßigere Verteilung der notwendigen Arbeit. Wir brauchen nicht mehr Jobs, wir brauchen nur eine bessere Verteilung der Arbeit. Die Verkürzung der Arbeitszeit wirkt sich erwiesenermaßen auch positiv auf Gesundheit, Glück und Wohlbefinden von Menschen aus.
  2. Verringerung der Ungleichheit: Oft wird gesagt, dass Wachstum notwendig sei, um die Einkommen der Menschen zu erhöhen und damit ihre Lebensqualität zu verbessern. Aber in reichen Ländern gibt es eben kein Defizit von Einkommen und Vermögen, das Problem ist wie bei der Arbeit auch hier die Verteilung: Wir müssen das, was wir schon haben, einfach nur gerechter aufteilen.

Wir müssen also unsere über Jahrzehnte vermittelten Vorstellungen (“Wachstum ist eine ökonomische Notwendigkeit und führt zu allgemeinem Wohlstand”) infrage stellen und als Ideologien enttarnen.

Wo kann ich mehr erfahren?

Videos und Podcasts mit Jason Hickel gibt es leider nur auf Englisch. Diese sind aber sehr sehens- und hörenswert, etwa diese kurze Zusammenfassung seiner Ideen im Rahmen der (ebenso feinen) Reihe 5×15 Stories:

 

Und gleich noch eine Doppelempfehlung: Abonniert den Podcast Upstream und hört euch besonders die Folge mit Jason Hickel an:


Manfred Folkers/Niko Paech: All you need is less, oekom 2020, 256 Seiten

Auf den ersten Blick überraschend erscheint die Zusammenarbeit eines buddhistischen Dharma-Lehrers mit einem Volkswirtschaftler in diesem Buch. Erforscht man jedoch die Biografien der beiden Autoren etwas genauer, wird deutlich, was die beiden zusammengeführt hat: Die Kritik an einer leistungs- und profitorientierten Wirtschafts- und Lebensweise, die beide als zerstörerisch für das menschliche Dasein betrachten. Manfred Folkers beschäftigt sich seit den 1990er Jahren mit asiatischen Meditations- und Bewegungslehren Qigong und Taijiquan und publiziert seit den 2000ern auch Bücher über Entschleunigung und Achtsamkeit. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive beschäftigt sich Niko Paech mit den Themen Ökologisches Wirtschaften und Nachhaltigkeit. Er gilt als Begründer des Begriffs „Postwachstumsökonomie“, eine Wirtschaftssystem, das die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen akzeptiert und deshalb zur Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse nicht auf grenzenloses Wachstum setzt.

Was schreiben Manfred Folkers und Niko Paech zum Thema Verzicht?

Kernbegriff des Buches (er findet sich auch im Untertitel) ist die „Kultur des Genug“. Folkers betont dabei, ganz Buddhist, die Genügsamkeit. Paech stellt die Suffizienz – also das Streben nach einem möglichst geringen Ressourcenverbrauch – ins Zentrum seiner Argumentation. Beides sind unterschiedliche Begriffe für eine bedürfnisorientierte Lebensweise, die im „Mehr“ keinen absoluten Wert erkennt.

In westlichen Gesellschaften führt der Weg zum Genug unter anderem über individuellen Verzicht. Besonders Paech betont, dass er die Politik für unfähig hält, den notwendigen Kulturwandel in die Suffizienz einzuleiten. Er setzt stattdessen auf eine „suffiziente Avantgarde“, die einen entsprechenden Lebensstil vorlebt und mit diesem quasi die breite Masse ansteckt. Folkers geht diese individualistische Perspektive nicht weit genug, er will auch gemeinsame, solidarische Lösungen auf gesellschaftlicher Ebene finden. Verzicht spielt bei ihm zwar für die Genügsamkeit eine Rolle, ohne kollektives Handeln und Veränderung der Rahmenbedingungen sieht er jedoch keinen Weg aus der „Gier-Wirtschaft“.

Eine kleine Ergänzung: Interessant ist vor allem der Aufbau dieses Buches. Die Ideen von Folkers und Paech sind eingebettet in ein Vor- und ein Nachgespräch der beiden Autoren. Durch diesen Kniff wirken die Gedanken insgesamt organischer und das Buch nicht nur wie eine intellektuelle Abhandlung.

Wo kann ich mehr erfahren?

Einen kleinen Einblick in den „Sound“ des Buches erhält man in diesem kleinen Teaser-Video:

 

Etwas ausführlicher erläutert Niko Paech seine Ansätze im Gespräch mit Hans Holzinger von der Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg:

 

Zum Anhören gibt es die Ideen von Niko Paech und Manfred Folkers im Podcast des oekom Verlags:

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