Zwischen[5]durch: „Is small beautiful?“
Einsteigen, bitte! An dieser Stelle laden wir euch auf eine kleine virtuelle Rundreise zu ausgewählten Kulturinitiativen ein. Wir haben in Wels, Linz und Gallneukirchen nachgefragt, was “Kulturarbeit im Kleinformat” eigentlich so besonders macht und inwiefern auch hier weniger mehr ist.
Startpunkt: Oktolog
Ein Dienstagmorgen mitten im August. Am Gelände des Alten Schlachthofs in Wels herrscht noch diese angenehme sommerliche Frische, der man bereits anmerkt, dass sie tagsüber einer schweißtreibenden Hitze weichen wird. Es ist gut 9 Uhr, dementsprechend wenig Betriebsamkeit ist auszumachen. Hier schleppt sich ein zerknautschtes Gesicht in den Frühstücksraum zum Morgenkaffee, da sucht eine schlaftrunkene Gestalt den Weg Richtung Dusche, dort hat sich eine motivierte Person mit einem Skizzenblock auf einem der vielen Tische niedergelassen. Man nickt sich zu, wünscht sich einen guten Morgen.
Gut vierzig Personen tummeln sich in diesen Tagen im Welser Kulturzentrum, um an aktuellen Projekten zu arbeiten und gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Zusammengebracht hat sie das Oktolog, selbstbetiteltes Art & Maker Camp, eigentlich aber eine Art Community-Experiment, das in seinen besten Momenten zwischen kollektiver Artist-Residency und weltlichem Retreat für Kreative oszilliert. Ein Kraftort im anti-esoterischen Sinn, der den Teilnehmer*innen die Gelegenheit bietet, abseits der Zwänge des Alltags miteinander in Verbindung zu treten, voneinander zu lernen, Neues auszuprobieren.
Möglich ist diese Erfahrung in der gegebenen Intensität, weil man die Veranstaltung bewusst im intimen Rahmen hält. „Wir haben nach den ersten beiden Jahren darüber nachgedacht, wie groß wir das Ganze zukünftig gestalten wollen”, sagt Theresia Meindl, eine der Initiator*innen des Oktolog. „Wenn wir das ganze Gelände nutzen und auch noch mit anderen Kultureinrichtungen kooperieren würden, hätten wir sicher auch Potenzial für 100 oder mehr Teilnehmer*innen. Wir haben uns dann aber bewusst für die kleine Variante entschieden, da mit einer Vergrößerung nicht nur eine Zersplitterung der Community der Oktolog*innen einher gegangen wäre, sondern wir auch mehr organisatorische Aufgaben wie etwa die Koordination von Personal und Räumen übernehmen hätten müssen. Damit hätten wir selbst nicht mehr auf eine Art Teil des Oktolog sein können, wie wir uns das wünschen.”
Die Entscheidung für kleinformatiges Veranstalten wurde also im Team bewusst getroffen. Wie ist das bei anderen Veranstalter*innen? Wieso veranstalten sie Konzerte, Lesungen und Festivals für 20, 50, 100 Leute? Daheimfestival statt Frequency, Volksgarten statt Volksoper, Klangfolger statt Klangwolke: Was bieten kleine Formate, was große nicht bieten können? Ich habe mich dazu mit diversen Leuten unterhalten. Mich interessieren – recht genre-unabhängig – jene Initiativen, die sich bewusst dafür entschieden haben, mit ihren Aktivitäten und Veranstaltungen ein eher überschaubares Publikum zu erreichen. Ich will herausfinden, welchen Wert die involvierten Personen im Arbeiten „im Kleinen” sehen – für sich selbst genauso wie für die Gesellschaft. Auf geht’s zur virtuellen Rundreise!
Erste Station: Daheimfestival
Florian Forstner ist ein extrem sympathischer Typ, stets gut bekleidet mit Hut und freundlichem Lächeln. Ich treffe den Welser Musiker (@fluadan) auf dem Oktolog und komme mit ihm über seine kulturarbeiterische Tätigkeit zu sprechen. Gemeinsam mit seinem Linzer Musikerkollegen Jürgen Brunner (@kidarcademusic) hat er während des ersten Corona-Lockdowns das virtuelle Live-Format Daheimfestival ins Leben gerufen. „Wir mussten beide am ersten Tag des ersten Lockdowns einen Auftritt absagen. Aus dieser Enttäuschung entstand die gemeinsame Idee, auch im Lockdown den Musiker*innen eine Bühne und dem Publikum Livemusik und ‘Künstler*innen zum Anfassen’ zu bieten. Dieses Konzept wurde von allen Seiten super angenommen,” berichtet Forstner über die Entstehungsgeschichte. Nach den Veranstaltungsbeschränkungen wurde das Konzept neu überdacht und vom Internet ins „real life” übertragen: „Wir veranstalten jetzt das Daheimfestival einmal im Monat im Schlachthof Wels. Wir bieten den Musiker*innen eine Bühne, ein interessiertes Publikum und Hutgeld als Gage – was tatsächlich oft mehr wird als so manche fixe Gage!”
Bereits das Beispiel Hutgeld zeigt: Auch beim Daheimfestival hat man sich bewusst für ein kleines Format mit überschaubarem Publikum entschieden. Das zeigt sich an allen Ecken des eigenen Tuns. Die Aktivist*innen werden liebevoll als „Daheimfestival-Familie” bezeichnet, bei den Konzerten ist man um heimelige Atmosphäre und Nähe zwischen Publikum und Aufführung bemüht, damit die auftretenden Künstler*innen als Menschen wahrnehmbar bleiben. Alle Musiker*innen sind beim Daheimfestival explizit willkommen – Lampenfieber, Ausprobieren und die Möglichkeit des Scheiterns werden eingeplant. Das alles sind Dinge, die auf großen Festivalbühnen eher keinen Platz finden.
Florian Forstner ergänzt aus Sicht der beiden Initiatoren des Daheimfestivals noch zwei weitere Vorteile des Kleinformats: „Wir sind beide eher gerne auf kleinen Konzerten, Festivals und in kleinen Locations unterwegs. Da spürt man einfach die Musik, die Energie, noch näher und intensiver. Ohne die kleinen Locations wäre es obendrein niemals möglich als Live-Musiker*in irgendwo zu starten. Es braucht diese Orte für Kunst und Kultur – vielleicht manchmal sogar mehr, als die großen?” Na, schauen wir mal weiter.
Nächster Stopp: Volksgarten
Für den nächsten Eindruck verlassen wir den Welser Schlachthof und bewegen uns gedanklich in Richtung Traun, wo zwischen Messehallen, Welios Science Center und Stadthalle ein kleines Stück urbanes Grünland namens Volksgarten sein unscheinbares, aber durchaus sehenswertes Dasein fristet. Etwa in der Mitte des Parks befindet sich ein etwas aus der Zeit gefallenes würfelförmiges Gebäude, durch dessen hinteren Teil sich ein Anbau in Form und Farbgebung einer Zigarette erstreckt: der Austria Tabak Pavillon. Dieses Gebäude und der es umgebende Teil des Parks sind das primäre Tätigkeitsfeld des Vereins Volksgarten, der vor Ort unterschiedliche Veranstaltungen wie Flohmärkte, Lesungen, Workshops, Konzerte, Filmvorführungen oder auch einfach nur gesellige Treffen organisiert.
„Bereits bei der Gründung war es die Idee des Vereins, den Volksgarten durch niedrigschwellige Aktivitäten neu zu beleben. Dazu organisieren wir Veranstaltungen ohne oder mit geringem Eintritt, oft und gerne auch gemeinsam mit anderen Vereinen aus dem Welser Kulturleben wie dem Programmkino oder dem Kulturverein Waschaecht”, berichtet Christian Bartak, laut Eigendefinition Teil der dritten Generation von Aktivist*innen im Verein Volksgarten, mit dem ich während des Oktolog in einer anderen Angelegenheit telefoniert und ihn bei der Gelegenheit gleich über die Tätigkeiten des Vereins befragt habe.
Von Beginn an war es die gemeinsame Vorstellung der Vereinsmitglieder, kleine und intime Veranstaltungen zu organisieren. Bartak begründet das so: „Für mich war es immer schön, dass kleine Feste, Märkte, Konzerte und Lesungen sehr familienfreundlich sind und meine Kinder mitwirken konnten. Außerdem nimmt es viel Druck, wenn man nicht ‚liefern’ muss, es also egal ist, ob 10, 50 oder 100 Leute kommen. Wir sind kein kommerzieller Kulturbetrieb und auch keine Gastronomie. Wenn also einmal um Mitternacht das Bier ausgeht, dann ist das halt so. Wir müssen uns deshalb keine Gedanken und schon gar keine Sorgen machen.”
Kleine Veranstaltungen ermöglichen also ein entspanntes Arbeiten, was besonders im Ehrenamt eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Dazu kommt, dass bei der Vereinstätigkeit im Kleinen das gemeinsame Tun stärker im Fokus steht. Es entsteht ein fast dörflicher Charakter im kleinstädtischen Naherholungsgebiet. Etwas, das kommerzielle Massenevents laut Christian Bartak nicht bieten können: „Große Kulturveranstaltungen interessieren mich generell nicht. Dort wird das Präsentierte nur konsumiert, bei kleinen Veranstaltungen ist man auch als Besucher*in mittendrin. Ich ziehe das auch privat so durch, etwa wenn ich eine bestimmte Band sehen will. Ich suche mir die kleinste Location, wo sie spielt – und dort fahre ich dann hin.”
Vorletzter Halt: Schlot
Für unseren vorletzten Aufenthalt verlassen wir Wels und begeben uns in die Landeshauptstadt. Dort, im Linzer Frankviertel, früher Heimat zahlreicher Industriearbeiter*innen und immer noch als “Glassscherbenviertel” verschrien, ist seit 2014 der Kulturverein Schlot beheimatet. Auf dem Gelände einer ehemaligen Matratzenfabrik betreibt der Verein ein Gemeinschaftsatelier und veranstaltet in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Ausstellungen, Konzerte und andere Events wie das mittlerweile bereits legendäre Schlommerfest. Bis zur COVID-Pandemie gab es auch Pflanzlmärkte und künstlerische Happenings wie den ‘Christgsindlmarkt’.
“Die Idee war und ist, in einer Gemeinschaft, in der man sich wohlfühlt, zu arbeiten, Zeit zu verbringen und sich kreativ austoben zu können. Und das Ganze mit möglichst niedrigem finanziellem Aufwand”, beschreibt Geschäftsführerin Birgit Koblinger die Gründungsabsicht des Schlot. Gemeinsamkeit wird sowohl auf Veranstaltungen und im Atelier als auch online gepflegt, bei der Kommunikation hilft ein webbasierter Instant-Messaging-Dienst. Obwohl die Pandemie und auch die zusätzliche Care-Arbeit durch die Familie mit Kind es schwieriger gemacht haben, das Gemeinschaftsgefühl aufrecht zu erhalten, ist die Schlot-Community über die Jahre zusammengewachsen und stabiler geworden als in Anfangszeiten.
Mit bis zu drei Veranstaltungen im Monat, einem Gemeinschaftsatelier für zehn kreative Menschen sowie einem Proberaum mit vier eingemieteten Bands ist auch der Schlot ein im Vergleich kleiner Kulturbetrieb. Die Entscheidung für das Kleinformat ist aber nicht bewusst getroffen worden – und entspricht auch nicht unbedingt den eigenen Wahrnehmungen: “Es fühlt sich für uns gar nicht mehr so klein an, weil das Drumherum viel Arbeit ist. Die unterschiedlichen Arbeitsbereiche bedeuten viele Bedürfnisse, viel Organisation und verlangen viel spontanes Handeln.” Auch die zunehmende Professionalisierung führt dazu, die eigene Tätigkeit bei allem Spaß und aller Leidenschaft nicht mehr nur als klein, frei und unbeschwert zu empfinden: “Sobald man Geld verdienen muss, verliert es an Leichtigkeit, man ist gefangener in Kalkulationen, Anträgen, Abrechnungen, Bringschuld, Erfüllung von Erwartungen, Routinen.”
Dennoch gibt es für Birgit Koblinger und die “Schlotis” vieles, was für die Kulturtätigkeit im Kleinen spricht: Engere Beziehungen etwa, sowie einfachere Handhabe, Spontanität, der kreative Prozess und die Tatsache, dass man intern mehr wahr- und ernstgenommen wird. Eine Mitarbeit in einem größeren Kulturbetrieb steht für sie deshalb nicht zur Debatte, die Arbeit an eigenen Projekten ist spannender. Und so beantwortet Birgit die Frage, ob small auch gleichzeitig beautiful sei, auch konsequent mit einem klaren: “Definitiv!”
Endstation: Klangfolger
Für die letzte Station unserer Reise begeben wir uns ins untere Mühlviertel, genauer gesagt nach Gallneukirchen. In der knapp 15 Kilometer östlich von Linz gelegenen Stadtgemeinde findet seit 2008 das Klangfestival statt. Dabei werden an mehreren Tagen vor allem Leerstände wie eine ehemalige Nähstube, ein altes Feuerwehrhaus oder ein aufgelassenes Hallenbad mit vorwiegend experimenteller Musik, aber auch mit Literatur, Performancekunst, Film oder Theater bespielt. Auf die Beine gestellt wird das Festival vom Kulturverein Klangfolger, der im Jahresverlauf auch einzelne Veranstaltungen mit ähnlichen Schwerpunkten umsetzt.
Auch wenn die Entscheidung für kleinformatige Kulturtätigkeit unter den Aktivist*innen rund um den Klangfolgerl nie explizit getroffen wurde: Die Schwerpunktsetzung auf Kunstformen abseits des Mainstreams sowie die Entscheidung dafür, in einem Ort mit nur gut sechseinhalbtausend Einwohner*innen zu veranstalten, haben wohl von Beginn an auf eine überschaubare Publikumszahl hingeleitet. Und man kann der Arbeit im Kleinen durchaus etwas abgewinnen. “Das Kleinformat ist die Ursuppe, aus der das Große entspringen kann. Neues auszuprobieren und experimentieren zu können ist wohl das Besondere am Kleinformat, Stichwort Versuchslabor”, begründet Thomas Auer, Aktivist und Presseansprechperson des Vereins Klangfolger, den Antrieb für die eigene Tätigkeit.
Ebenso reizvoll wie die Möglichkeit des Experimentierens ist die Gelegenheit, im Kollektiv zu arbeiten. So trifft sich einmal im Monat das gesamte Plenum des derzeit 16-köpfigen Klangfolger-Teams – zusätzlich gibt es kleinere Arbeitsgruppen und auch ein Online-Forum, das für den Austausch genutzt wird. Obwohl man ein Klangfestival in der Größe eines Donaufestivals durchaus gerne einmal ausprobieren würde: Das vor Ort praktizierte kollektive Organisieren und Kuratieren wäre in diesen Dimensionen wohl nicht mehr möglich.
Generell findet Thomas Auer große Kulturveranstaltungen nicht uninteressant, schließlich könne man dort beobachten, was aus der “Ursuppe” der kleinen Vereine und Initiativen entstanden sei. Aber: „Langweilig wird mir, wenn es sich um reines Konsumieren von Kultur handelt.” Beim Klangfolger wirkt man einer rein konsumorientierten Kulturproduktion deshalb auf allen Ebenen entgegen. Selbst kulturpolitisch will man sich durch die Auswahl von Leitmotiven für das Festival (zuletzt etwa weaving in oder co/op), ein festivalbegleitendes Magazin und auch das Bespielen von Leerständen positionieren. Denn auch das lässt das Kleinformat zu, wenn man will.
Fazit: Ist „small” also „beautiful”?
Dass Kulturarbeit im Kleinformat lohnend ist, darüber sind sich zumindest die Personen, mit denen ich mich unterhalten habe, einig. Birgit Koblinger etwa beschreibt sie als “grundsätzlich einfacher und erfüllender”. Damit kleinformatige Kulturtätigkeit wirklich zu einem erfüllenden Erlebnis wird, ist sie für manche jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. Thomas Auer vom Klangfolger etwa schätzt sie nur dann, wenn sie im Kollektiv erfolgt. Auch für Theresia Meindl und das Oktolog-Team steht das gemeinsame Arbeiten und die Abgrenzung von reiner Aufführungskunst im Zentrum: Das Kleinformat erlaubt es, die Distanz zwischen Publikum, Organisationsteam und Künstler*innen abzubauen und kollaborativ tätig zu sein. Nicht zuletzt betont Christian Bartak auch noch den inklusiven Wert kleinräumiger Kulturarbeit. Durch die enge Zusammenarbeit entstehen kleine Inseln, in denen Unterschiede existieren dürfen, diese aber nicht zu Abgrenzung führen, sondern eine Gemeinschaft entstehen lassen. Bartak schließt daraus hoffnungsvoll: „Auf kleinen Inseln hat jede*r irgendwo ein Platzerl.”
Dieser Beitrag ist in kürzerer Version Anfang Oktober bereits im druckaecht #233 erschienen.