Kunis Kommentar # 1 Leben auf der Butterseite
Kuni hat was zu sagen. Hört zu. Hinsetzen, Ohren spitzen und genießen.
Im Medien Kultur Haus – Projekt „Weniger ist mehr“ beschäftigen wir uns mit dem Thema Verzicht als Chance für Veränderung. Dabei hat uns folgender Gedanke angetrieben: Wenn wir alle da und dort etwas weglassen – hier das Handy auf die Seite legen, dort die Arbeitszeit reduzieren, da das Auto gegen das Radl austauschen – dann spaziert früher oder später das gute Leben bei der Tür herein und macht es sich auf unserer lauschigen Wohnzimmercouch gemütlich. Super, oder? Man muss nicht einmal raus gehen, einfach mal nix tun und die Füße hochlegen, und schon wird die Welt ein bisserl gerechter und man selbst ein bisserl glücklicher.
Hm, merkt ihr, oder? Dass da was nicht passt? Dass die ganze Argumentation an verschiedenen Ecken und Enden knirscht? Ein offensichtliches Problem könnten wir wahlweise Eurozentrismus, „first world view“ oder – etwas allgemeiner – einfach eine privilegierte Perspektive nennen. Denn sind wir uns ehrlich: Wir alle fristen – ganz offensichtlich – ein behütetes Dasein.
Lasst uns also über Privilegien reden. Ich stelle einfach einmal zwei Behauptungen in den Raum:
- Wer Verzicht als Chance begreifen kann, führt ein privilegiertes Leben.
- Diese Privilegien lassen sich nicht aus der Welt räumen, indem diejenigen, die sie genießen, darauf verzichten.
Schauen wir uns das mit dem privilegierten Leben anhand eines Beispiels an: Unter dem Hashtag #freezeforpeace haben im vergangenen Winter Netzaktivist*innen in den sozialen Medien dazu aufgerufen, weniger Gas zu verheizen und dadurch Wladimir Putins Kriegsmaschinerie finanziell auszuhungern. Okay, es ist schön, wenn die versammelte Twitteria das Thermostat um drei Grad runterdreht und zum netflixen im Winter jetzt einmal einen Pulli anziehen muss. Dass sich die Frage, ob man die Heizung runterdrehen will, für viele aufgrund der explodierenden Lebenskosten aber gar nicht mehr stellt, weil sie die eh schon gar nicht mehr eingeschaltet haben und ab Monatsmitte überlegen müssen, wie sie noch etwas zu essen auf den Tisch bekommen, das übersehen viele.
Ein anderes Beispiel zeigt, dass Privilegien nicht abgeschafft werden können, wenn einzelne auf sie verzichten: In patriarchalen Gesellschaften wie der unseren werden weiße, cis-männlich gelesene Personen strukturell bevorzugt. Sie bekommen die guten Jobs und werden dafür angemessen bezahlt. Wenn nun einzelne weiße Cis-Männer lukrative Jobangebote abweisen oder auf Überbezahlung verzichten, ändert das an ihrer privilegierten Situation wenig und am strukturellen Rassismus und Heterosexismus überhaupt nichts. Bei der nächsten Bewerbung werden sie trotzdem wieder zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ähnliches gilt übrigens auch jenseits der Identitätspolitik: Wir werden durch Konsumverzicht nicht den Kapitalismus abschaffen und durch das Stehenlassen des Autos nicht den Fossilismus besiegen. So viel ist klar.
Was ich damit sagen will? Wir müssen über Verzicht reden. Dieser bietet gute Ansatzpunkte für das eigene Wohlergehen in einer Welt des Überflusses. Deshalb erzählen wir in unserem Blog auch persönliche Erfolgsgeschichten des Verzichts.
Was ich damit aber eben auch sagen will: Verzicht muss man sich leisten können. Und er allein wird ein fehlerhaftes System nicht verändern. In unseren Überlegungen darüber, inwiefern Verzicht eine Chance für Veränderung darstellen kann, müssen wir das berücksichtigen. Nur dann kann weniger auch wirklich mehr für alle sein.