Wie man den Löffel (später) abgibt: Ein Besuch im Kurhaus Schärding
Am Inn, im Knödelviertel, sind die Hungerkünstler zuhause. Versprechen von körperlichem wie seelischem Wohl durch verschiedene Fasten- und Kurarten locken die Menschen hier her. So auch den rasenden Reduktionsreporter Tobias, der sich aufmachte, um den Sinn hinter dem Hunger zu finden.
Das Kurhaus Schärding ist ein faszinierender Ort. Seine wunderbare Lage am Inn wurde ihm schon einige Male zum Verhängnis: Steigt der Wasserspiegel, wird es schnell von Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen. Am gefährdetsten ist der kleine Wellnessbereich im Keller. Der sei aber sowieso nur „nice to have“ meint Direktor Harald Schopf. Man braucht ihn, weil man ihn nicht braucht. Für die Kuren sei er nicht notwendig, die Gäste würden ihn jedenfalls sehr schätzen, meint Schopf. An denen mangelt es nicht, das Vor-Corona-Niveau wurde schnell wieder erreicht. Einzig die Zusammensetzung der Gäste habe sich geändert: Während die Kundschaft früher durchaus international war, sind es momentan hauptsächlich Österreicher*innen und Deutsche.
Eine ansteckende Harmonie begleitet durch die Räumlichkeiten; man sieht viele äußerst glücklich wirkende, ältere Damen, die in blütenweißen Bademänteln gemächlich durch die Gänge spaziert werden oder an den Tischen im Café Zeitung lesen. Spaziert werden sie in einen der drei Bereiche: In den der traditionellen indischen Medizin (Ayurveda), den der traditionellen chinesischen Medizin, oder in den Kneippkur Bereich.
Geht man selbst durch das Haus, kann man sich dem Eindruck, den diese Vielfalt hinterlässt, schwer entziehen. Der integrative Ansatz ist Direktor Schopf sehr wichtig; man ist zwar im Eigentum eines Ordens (Kurhaus Schärding der barmherzigen Brüder), aber möchte diesen Glauben niemandem aufdrängen. Es gibt eine schöne kleine Kapelle, beten und meditieren darf man jedoch, wie man möchte. (Alles andere wäre wohl auch etwas aus der Zeit gefallen.)
Betont wird auch immer wieder, dass man die Schulmedizin mit den verschiedenen Formen der Naturheilkunde kombinieren möchte. Wie gut das tatsächlich möglich ist, kann ich nicht beurteilen. So mancher Schulmediziner wird bei solchen Aussagen sicher die Nase rümpfen, er mag auch seine Gründe haben.
Für jeden der Bereiche wird Atmosphäre stiftendes Mobiliar aus den jeweiligen Ländern importiert. Etwas bizarr mutet dann aber der Übergang von den indischen und chinesischen Bereichen zum Kneipp Bereich an. Während erstere ein klassischeres Gefühl der Entspannung verströmen, lässt die Einrichtung von letzterem doch an Folterinstrumente denken.
Die Naturheilkunde nach Sebastian Kneipp, eine Untergruppe der traditionellen europäischen Medizin, sagte mir bis zu den Vorbereitungen für meinen Besuch nichts. Sie verlässt sich sehr stark auf die Wirkung von Bewegung, Heilpflanzen und Wasser. Wasser wird hier aber nicht im Rahmen entspannender Planschrunden in brühwarmen Thermalbädern genutzt, nein, hier geht es härter zu. Unter anderem gibt es Kammern, in denen man mit einem Schlauch bestimmte Muster auf den Rücken gespritzt bekommt. Schopf gesteht mir, dass er dieser Therapiemethode bis zu einem Selbstversuch sehr skeptisch gegenüberstand, mittlerweile jedoch bekehrt ist. Zu einem Versuch meinerseits kommt es nicht.
Das erklärte Ziel des Hauses ist es, seinen Gästen ein mehr an gesunden Lebensjahren zu ermöglichen. Man möchte das unter anderem erreichen, indem man natürlichen Reize nachahmt. Der Körper sei es eigentlich gewohnt mit weniger auszukommen, dieses Weniger führe zu einem verbesserten Körpergefühl. Man nutze hierfür zum Beispiel eben kaltes Wasser im Rahmen der Kneippkur oder Nahrungsentzug beim Fasten.
Dass eigentlich jeder gesunde Mensch ab und zu fasten sollte, erzählt mir die Ernährungsberaterin Monika Rotarski. Manchen Menschen tue es schon gut, gelegentlich einen Fastentag einzubauen. Hier im Haus dauern die Fastenkuren zwischen acht und 14 Tagen.
Die angebotenen Fastenarten unterscheiden sich in Intensität und Intension: Die harmloseste ist das Basenfasten. Hier verzichtet man eigentlich nur auf Dinge, von denen man sowieso weiß, dass sie nicht unbedingt gut für einen sind. Durch das Weglassen von Alkohol, Zigaretten, Koffein und tierischen Produkten soll einer Übersäuerung entgegen gewirkt werden. Zwischen 800 und 1200 Kalorien nimmt man pro Tag zu sich, hauptsächlich in Form von Brei.
Die extremere Form stellt definitiv das Heilfasten da. Wer gerne ausschließlich Obst- und Gemüsesäfte und Suppe zu sich nehmen möchte, ist hier richtig.
Schräg hingegen sind die F.X. Mayr Tage. Durch einseitige, leicht verdauliche Ernährung soll Verdauungsproblemen wie Blähungen oder ein Reizdarm entgegengewirkt werden. Aufgetischt bekommt man altbackene Dinkelbrötchen und ¼ Liter Schaf-, Ziegen- oder Mandelmilch.
Für Fettfreaks gibt es noch die ayurvedische Pancha Karma Kur. Durch die Einnahme von Ghee (indischem Butterschmalz!) sollen die fettlöslichen Schlacken bekämpft werden. Schlacken sind ein aufgeladener Begriff, das fiel mir schon bei meiner intensiven Vorbereitung (Google Seite zwei!) auf. Laut Rotarski gibt es wissenschaftlich gesehen keine Schlacken. Der Begriff rufe falsche Bilder von Schlamm im Körper hervor. Es handelt sich eigentlich um „unverdaute Stoffwechselzwischenprodukte“ (das klingt halt nicht so eingängig).
Wie oben erwähnt, ein Fastentag ist etwas, das der Körper mag. Auch positive seelische Effekte werden dem Fasten nachgesagt. Doch Vorsicht! Gerade psychisch angeschlagenen Menschen wird vom Fasten abgeraten. Die körperliche wie seelische Tauglichkeit wird übrigens in einer Voruntersuchung festgestellt.
Die von Rotarski ausgegebene Fastenempfehlung für alle werde ich wohl eher nicht befolgen. Die negativen Auswirkungen, die mein durch Hunger hervorgerufener Grant auf mein Umfeld hätte, würden die positiven des Fastens weit übertreffen. Dass Fasten stetig populärer wird, lässt sich jedoch nicht bestreiten. Vermutlich liegt es an dem Reiz der Selbstüberwindung, der ihm innewohnt. Dass es außerdem die gängigen Zivilisationskrankheiten bekämpft bzw. vorbeugt weckt wahrscheinlich auch das Interesse vieler. Vielleicht ist aber auch die wachsende Erkenntnis, dass etwas weniger dann doch mehr sein kann.